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Virtual Kidnapping in Lateinamerika: Vortäuschung einer Entführung

Zahlreiche kriminelle Gruppierungen haben in den vergangenen Jahrzehnten verstärkt in Mexiko und anderen lateinamerikanischen Staaten ein Phänomen kreiert: Virtual Kidnapping

Mit dem Virtual Kidnapping versuchen Kriminelle auf schnelle Weise ein wenig Geld „zu verdienen“, ohne allerdings effektiv eine Person zu entführen. Hierbei rufen die mutmaßlichen Entführer bei mehr oder weniger vermögenden Familien an und behaupten, ein Familienmitglied entführt zu haben. Sie sind durch eine vorherige investigative Tätigkeit und Aufklärung in der Lage, einige detaillierte Informationen zu der angeblich entführten Person zu benennen, die man offensichtlich nur haben kann, wenn man dieser Person in der Tat habhaft geworden ist. Es hat somit für die Angehörigen den Anschein, dass es sich um eine reelle Entführung handelt.

Tatausführung

In der Regel werden beim Virtual Kidnapping, ebenso wie beim Express Kidnapping, eher kleine Geldbeträge gefordert, die von den betroffenen Familien ohne Probleme beigeschafft werden können. In Guatemala z.B. handelt es sich dabei häufig um die Größenordnung von ca. US$ 600 – 1.200 und in Mexiko beginnt es bereits bei ca. US$ 50 und endet bei mehreren tausend US$. Meistens wird von den Angehörigen auch darauf verzichtet, die Polizei und/oder andere Behörden einzuschalten. Die mutmaßlichen Entführer wählen bei der Kontaktaufnahme einen Zeitpunkt, zu dem die angeblich entführte Person von der Familie getrennt ist und es dann auch keine Möglichkeit gibt, diese telefonisch für Rückfragen zu erreichen (z.B. beim Sport, in der Sauna, im Flugzeug u.ä.). Vielfach wird der angeblich entführten Person das Mobiltelefon gestohlen und der Anruf bei der Familie von dieser Rufnummer aus getätigt. Dies stellt in der Praxis für die Familienangehörigen einen Beweis dar, dass die besagte Person tatsächlich entführt wurde.

Die „Entführer“ haben einen alles entscheidenden Vorteil. Sie nutzen den kurzfristigen Schock und die Angst der Angehörigen, welche die Situation nicht realistisch einschätzen und kritisch hinterfragen können.

Statistisch als Raub eingestuft

Diese Art des Kidnappings ist in Lateinamerika sehr populär, speziell in Ländern mit einer hohen Korruptionsrate bei Behördenvertretern; wie z.B. Mexiko, Guatemala, Kolumbien, Haiti, Brasilien, Argentinien.

Einer Statistik zufolge, wurden allein in Mexiko im Jahr 2013 rund 30.000 Virtual Kidnappings gemeldet. Die Dunkelziffer mag auch hier weit höher liegen, zumal häufig dieses Phänomen statistisch als Raub eingestuft wird und im Bereich Kidnapping nicht auftaucht. Insgesamt wird geschätzt, dass es in 2013 rund 100.000 Entführungen alleine in Mexiko gab; lediglich etwas mehr als 1% der Entführungen wurden den Polizeibehörden gemeldet und sind aktenkundig.

Nicht nur dass diese kriminelle Handlungen eher in der Statistik des Raubes zu finden sind, hinzu kommt auch häufig die Angst der Betroffenen vor der Rache der Entführer und/oder die peinliche Schmach, einem Bluff aufgesessen zu sein.

Anrufe von jedem erdenklichen Ort

Aufgrund der Tatsache, dass solche Handlungen bzw. Anrufe von jedem erdenklichen Ort aus durchgeführt werden können, wird dieses Phänomen sogar aus Gefängnissen heraus betrieben. Zum „Geldeinsammeln“ fungieren außenstehende Kontaktpersonen. Um dieser Entwicklung Herr zu werden, sind Mobiltelefone aus vielen Gefängnissen Lateinamerikas verbannt bzw. Störsender und -signale installiert worden, die das Telefonieren mit dem Mobiltelefon unmöglich machen sollen. Öffentliche Telefonapparate in Gefängnissen werden systematisch überwacht.